AGES-Radar für Infektionskrankheiten - 28.11.2024
Zusammenfassung
Ein Ausbruch mit Rotaviren mit zumindest fünf Erkrankungen hat zu einer vorübergehenden Schulschließung im Burgenland geführt.
Die Saison der respiratorischen Erkrankungen verläuft noch zurückhaltend, Infektionen mit Influenzaviren und RSV sind selten. Bei SARS-CoV-2 zeigte sich ein Rückgang in den Spitalsaufnahmen.
Seit dem letzten Radar sind über tausend weitere Pertussis/Keuchhusten-Erkrankungen dazu gekommen, damit sind es heuer bisher 14.542 gemeldete Fälle (Stand: 27.11.2024).
International geben wir Updates zu den Ausbrüchen der Aviären Influenza und die Details zu einem länderübergreifenden Ausbruch von Salmonella Strathcona ST2559. Tomaten aus Sizilien dürften hier - und auch schon bei früheren Ausbrüchen - die Infektionsquelle gewesen sein.
Die Fallzahlen bei Masern waren heuer nicht nur in Österreich sehr hoch, sondern sind in der WHO-Region Europa im Vergleich zum Jahr 2022 um 200 Prozent gestiegen.
Im Thema des Monats erklären wir die Idee von One Health und was das mit Infektionskrankheiten zu tun hat.
Situation in Österreich
In den für die Überwachung ausgewählten Arztpraxen (Sentinel) wurde in der Woche zwischen 18. und 22. November eine von 233 Proben positiv auf Influenza getestet. Die AGES-Grippeüberwachung schätzt die Inzidenz grippeähnlicher Erkrankungen in Österreich in der Kalenderwoche (KW) 47 auf 2.851/100.000 Einwohner:innen, was im Bereich der beiden Vorjahre liegt.
Wirksamkeit der Impfung in der vergangenen Saison:
Das Robert-Koch-Institut in Deutschland hat die Wirksamkeit der Influenzaimpfung gegen die saisonale Influenza A für die Saison 2023/2024 untersucht. Für die Altersgruppe der 0 bis 17–Jährigen konnte im ambulanten Bereich eine Impfstoffwirksamkeit von 70 % bestätigt werden, bei den über 60-Jährigen lag sie bei 54 %. Somit war die Wahrscheinlichkeit mit Influenza-Viren an einer behandlungsbedürftigen akuten respiratorischen Erkrankung (ARE) zu erkranken, bei Geimpften dieser Altersgruppe nur etwa halb so groß wie bei Ungeimpften. Über alle Altersgruppen gerechnet betrug die Impfeffektivität 39 %. Für die mittlere Altersgruppe (18 bis 59 Jahre) ließ sich keine Impfeffektivität bestimmen, die Daten reichten dafür nicht aus.
Somit kann aufgrund der Häufigkeit von Influenzainfektionen durch die saisonale Impfung eine große Zahl an Influenzaerkrankungen verhindert werden. Die Influenzaimpfung kurz vor der Grippewelle bleibt die beste Präventionsmaßnahme auf Bevölkerungsebene, um das Risiko von Influenzaerkrankungen zu verringern.
Informationen zum Impfprogramm und teilnehmende Impfstellen: https://impfen.gv.at/impfungen/influenza.
Nach dem Höhepunkt der Sars-CoV-2-Viruslast im September im Österreichischen Abwassermonitoring ist die Viruslast deutlich gesunken. Auch bei den COVID-19 bedingten Aufnahmen in österreichischen Krankenanstalten zeigt sich ein Rückgang: in KW 45 kam es zu 332 Aufnahmen, im Vergleich dazu waren es in der Woche davor noch 427. Dieser Trend zeigt sich derzeit in den meisten Ländern Europas. Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) weist darauf hin, dass für Personen ab 65 Jahren das höchste Risiko für einen schweren Verlauf bei einer COVID-19-Infektion besteht.
Die COVID-19-Impfung wird in Österreich kostenfrei angeboten und ist für alle ab dem vollendeten 6. Lebensmonat möglich. Ab dem vollendeten 12. Lebensjahr ist die Impfung allgemein empfohlen. Die Impfstoffe werden immer wieder an aktuelle Virusvarianten angepasst. Aktuell stehen Variantenimpfstoffe, die gegen JN.1 bzw. KP.2 gerichtet sind, zur Verfügung. Es wird davon ausgegangen, dass beide Impfstoffe einen guten Schutz vor schweren Verläufen der aktuell zirkulierenden Virusvarianten bieten.
Weitere Informationen zum Impfangebot der einzelnen Bundesländer können unter COVID-19 | Impfen schützt einfach. eingesehen werden
In den Sentinel-Proben konnten für diese Saison noch keine RSV-Infektionen nachgewiesen werden, entsprechend wird die Viruslast für Oktober und November als sehr gering eingeschätzt. Allerdings meldet ECDC für mehrere Länder in Europa einen Anstieg an positiven RSV-Tests, sowohl im ambulanten als auch stationären Bereich. In der vergangenen Saison hatte die Viruslast Anfang Februar 2024 ihren Höhepunkt.
Zur Vermeidung von durch RSV ausgelösten Erkrankungen der unteren Atemwege stehen seit 2023 Impfstoffe zur aktiven Immunisierung zur Verfügung. Die Impfung wird aufgrund der hohen Zahl an Erkrankungen mit schweren, mitunter lebensbedrohlichen Verläufen bei Personen höheren Alters ab dem vollendeten 60. Lebensjahr allgemein empfohlen.
Gute Nachrichten gibt es für alle Neugeborenen und deren Eltern. Laut Gesundheitsminister Rauch wird die RSV-Prophylaxe Beyfortus (Nirsevimab) für alle Neugeborenen in Österreich bereits vor Weihnachten gratis zur Verfügung stehen. Dabei handelt es sich um monoklonale Antikörper, also künstlich hergestellte Antikörper, die im Falle einer Infektion dem Immunsystem dabei helfen das Virus zu bekämpfen. Im Unterschied zu Impfungen (aktive Immunisierung), bei denen das Immunsystem des Empfängers durch Bestandteile von Krankheitserregern zur Bildung von Antikörpern angeregt wird, stehen dem Körper bei der sogenannten passiven Immunisierung schützende Antikörper sofort zur Verfügung.
Die RSV-Prophylaxe wird bei Verfügbarkeit für alle Kinder im 1. Lebensjahr zwischen September und März allgemein empfohlen, sodass sie in ihrer 1. RSV-Saison geschützt sind.
Auch die Impfung von Schwangeren (24. bis 36. Schwangerschaftswoche) zum passiven Schutz von Neugeborenen durch Antikörper, welche von der Mutter auf das Kind weitergegeben werden, ist möglich. Schwangere können auf Wunsch entsprechend der Zulassung einmalig geimpft werden, wenn der Geburtstermin zwischen September und März liegt.
Weitere Informationen zu den Impfungen stehen unter Respiratorisches Synzytial-Virus (RSV) - Impfservice Wien zur Verfügung.
Es wurde ein starker Anstieg von Rotavirus-Fällen bei Kindern in einer Gemeinde im Burgenland festgestellt. Gemeldet wurden bisher fünf Erkrankungen (Stand: 27.11.2024). Die Volksschule wurde daraufhin behördlich geschlossen um Kontrollmaßnahmen sowie Reinigung und Desinfektion durchzuführen. Von der Schulschließung waren 136 Schüler:innen betroffen.
Rotavirus-Infektionen treten häufiger in den Wintermonaten auf und verursachen wässrigen Durchfall sowie Erbrechen und andere Magen-Darm-Beschwerden. Es ist vor allem wichtig betroffene Personen vor Dehydrierung zu schützen. Besonders Säuglinge und Kleinkinder werden aufgrund des Flüssigkeitsverlustes öfter im Krankenhaus stationär aufgenommen.
Rotaviren können vom Stuhl sowie Erbrochenen über die Hände und kontaminierte Lebensmittel oder Gegenstände übertragen werden. Insgesamt dauert die Erkrankung circa eine Woche. Für Säuglinge wird in Österreich eine kostenlose Impfung angeboten, die die Wahrscheinlichkeit zu erkranken verringert und schwere Verläufe verhindern kann.
West-Nil-Fieber
Von Juni bis November sammelt ECDC die Berichte der europäischen Länder zu Infektionen mit dem West-Nil-Virus. Mit Ende November werden für gewöhnlich in Europa keine neuen Daten erwartet. Laut Bericht vom 20. November kam es in 19 Ländern zu Infektionen beim Menschen, die genaue Verbreitung wird hier dargestellt.
Wie im letzten Radar berichtet, heißt das für Österreich, dass 2024 mit 36 Infektionen mehr Fälle von West-Nil-Fieber gemeldet wurden als je zuvor. Betroffen waren ausschließlich Erwachsene im Osten Österreichs.
Die Pertussis-Fallzahlen sind in Österreich und vielen Ländern Europas im Jahr 2024 massiv angestiegen, auch in Ländern mit hoher Durchimpfungsrate. Details dazu haben wir im AGES-Radar vom 28.03.24 dargestellt.
Während im gesamten Vorjahr 2.791 Fälle in Österreich gemeldet wurden, sind es heuer bisher 14.542 Pertussis-Erkrankungen (Stand: 27.11.2024). Die Fälle pro 100.000 Einwohner für jedes Bundesland für das Jahr 2024 sind in Abbildung 1 dargestellt. Die Altersverteilung (Abbildung 2) zeigt wie stark vor allem Kleinkinder betroffen sind.
Auch bei einer hohen Impfquote muss mit Erkrankungen gerechnet werden. Der Sinn der Impfung ist in erster Linie der Schutz von Säuglingen und Kleinkindern vor einem schweren Verlauf und Tod, denn durch hohe Durchimpfungsraten werden auch nicht-immune Personen geschützt. Dazu zählen Säuglinge vor dem 3. Lebensmonat, die noch nicht geimpft werden können und ein besonders hohes Risiko für einen schweren, potenziell tödlichen, Verlauf haben.
Um Säuglinge in den ersten Lebensmonaten zu schützen, wird insbesondere schwangeren Frauen im letzten Schwangerschaftsdrittel die Impfung nahegelegt, unabhängig vom Abstand zur letzten Pertussis-Impfung. Dadurch erhalten Neugeborene durch mütterliche Antikörper einen Schutz.
Weiterführende Informationen zur Pertussis-Impfung finden Sie im Impfplan Österreich 2023/2024 Version 2.0 (sozialministerium.at).
Keuchhusten (Pertussis) - AGES
Internationale Ausbrüche
Es wird ein länderübergreifender Ausbruch von Salmonella (S.) Strathcona ST2559 in Europa beobachtet. Zwischen 1. Jänner 2023 und 5. November 2024 wurden 232 bestätigte Fälle von S. Strathcona ST2559 in 17 europäischen Ländern identifiziert, in Österreich waren 33 Personen betroffen.
Als Reaktion auf diesen länderübergreifenden Ausbruch wurden mehrere nationale epidemiologische Untersuchungen durchgeführt. Dadurch wurden Tomaten als Infektionsträger identifiziert. Analysen des Genoms lassen darauf schließen, dass der Ausbruchsstamm aus mehreren betroffenen Ländern einen gemeinsamen Ursprung hat.
Epidemiolog:innen des Instituts für Infektionsepidemiologie der AGES konnten bestätigen, dass kleine Tomaten aus Sizilien die wahrscheinliche Quelle bei dem Ausbruch in Österreich im Jahr 2023 waren. Und bei einem Ausbruch im Jahr 2024 in Italien, deuten Rückverfolgungsuntersuchungen ebenfalls auf eine mögliche Quelle in Sizilien hin. Ausbruchsuntersuchungen bei einem historischen S. Strathcona ST2559-Ausbruch in Dänemark im Jahr 2011 führten zum gleichen Ergebnis mit Tomaten aus Sizilien als wahrscheinliche Infektionsquelle.
ECDC und die European Food Safety Authority (EFSA) raten dem Human- und Lebensmittelsektor dazu, weiterhin Untersuchungen durchzuführen, um zu überprüfen, ob kleine Tomaten aus Sizilien der Überträger der Infektion in allen EU-Ländern sind, da auch andere Lebensmittel an der Übertragung beteiligt sein könnten. Auch die Rolle der Umwelt bei der Kontamination der Tomaten sollte untersucht werden, da der Ausbruchsstamm auch bei einem Nutztier in der Region identifiziert wurde. Untersuchungen zur Identifizierung des Eintrittspunktes von S. Strathcona – einschließlich des verwendeten Bewässerungswassers – sollten durchgeführt werden, um geeignete Maßnahmen ergreifen zu können, die Ausbreitung der Kontamination zu stoppen und mögliche neue Fälle zu verhindern.
Um die Ausbreitung der Aviären Influenza einzudämmen, wurde mit 8. November ganz Österreich zum Gebiet mit erhöhtem Risiko erklärt. Für Hobby-Geflügelhalter hat die AGES im Auftrag des Ministeriums Informationsvideos erstellt, die über Krankheitszeichen und Maßnahmen informieren. Informationen zu aktuellen Ausbrüchen finden Sie im AGES-Tierseuchenradar.
In der EU sind keine Fälle beim Menschen aufgetreten und eine fortgesetzte Mensch-zu-Mensch-Übertragung wurde allgemein noch nie beobachtet. Für die allgemeine Öffentlichkeit bleibt das Infektionsrisiko gering, für beruflich Exponierte gering bis mittelmäßig.
In Nordamerika kommt es weiterhin sporadisch zu Infektionen beim Menschen. Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung konnte auch hier bisher nicht festgestellt werden. Eine Infektion bei einem Teenager in Kanada hat einen schweren Verlauf genommen.
In Kalifornien wurde eine H5N1-Infektion bei einem Kind bestätigt. Hier war der Verlauf mild und dem Kind geht es bereits besser. Es ist noch unklar, wie sich das Kind infiziert hat, alle anderen Haushaltsmitglieder wurden negativ getestet.
Details zum Infektionsgeschehen in den USA finden Sie im Radar vom 29.08.2024.
H5 Bird Flu: Current Situation | Bird Flu | CDC
Nicht nur Österreich hatte heuer mit hohen Masernzahlen zu kämpfen, laut einem gemeinsamen Bericht von World Health Organization (WHO) und Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sind in Europa die Fallzahlen im Vergleich mit dem Jahr 2022 um 200 Prozent gestiegen. Es gab mehr als 306.000 bestätigte Infektionen. Am stärksten betroffen war Rumänien mit über 14.000 berichteten Erkrankungen.
Auch weltweit betrachtet gab es einen deutlichen Anstieg: 10,3 Millionen Fälle bedeuten global eine Zunahme von 20 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022. Nur 83 % der Kinder haben laut WHO eine erste Impfdosis erhalten. Um Masern eliminieren zu können, wäre eine Impfquote von 95 Prozent notwendig.
Thema des Monats
Seit 2016 wird jährlich am 3. November weltweit der „One Health Day“ zelebriert. Und warum steht das in einem Radar für Infektionskrankheiten? Weil Erkrankungen und ihre Vermeidung in einem Zusammenhang von Mensch, Tier, Pflanze und Umwelt gedacht werden sollten. Schauen wir uns das an:
Sinnvollerweise müssen wir uns vorneweg durch die Definition von One Health arbeiten: Die gegenwärtig gängigste wurde vom One Health High-Level Expert Panel (OHHLEP) formuliert und lautet:
„One Health ist ein kollektiver, vereinender Ansatz, der darauf abzielt, die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen nachhaltig ins Gleichgewicht zu bringen und zu optimieren. Er erkennt an, dass die Gesundheit von Menschen, Haus- und Wildtieren, Pflanzen und der weiteren Umwelt (einschließlich der Ökosysteme) eng miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. Der Ansatz mobilisiert verschiedene Sektoren, Disziplinen und Gemeinschaften auf unterschiedlichen Ebenen der Gesellschaft, um gemeinsam das Wohlergehen zu fördern und Bedrohungen der Gesundheit und der Ökosysteme zu bekämpfen und gleichzeitig den kollektiven Bedarf an sauberem Wasser, Energie und Luft sowie an sicheren und nahrhaften Lebensmitteln zu decken, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen und zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen.“ (OHHLEP, 2021)
One Health ist also keine Methode oder eine Theorie, sondern eine Art zu denken, eine Perspektive, deren Prämisse besagt, dass die Gesundheit von Mensch, Tier, Pflanze und Umwelt in Abhängigkeit voneinander stehen und zusammen gedacht werden müssen.
Die Bedeutung von One Health wächst rasant
Der große Blick aufs Ganze gewinnt völlig zu Recht in den letzten Jahren massiv an Wichtigkeit. Die Welt rückt seit Jahrzehnten immer enger zusammen, Krankheiten werden genauso schnell und über genauso viele Wege transportiert wie Menschen, Tiere und Güter. Die Lebensmittelproduktion in einem Teil der Welt hängt mit der Lebensmittelproduktion überall sonst zusammen, die Lebensräume von Wildtieren schrumpfen und an den Grenzen der Lebensräume werden neue Krankheiten zwischen Tieren und Menschen übertragen (Zoonosen).
Wir haben mit zunehmenden Risiken zu kämpfen: Epidemien und Pandemien, zoonotische Krankheiten und andere Gesundheitsbedrohungen an der Schnittstelle Mensch-Tier-Umwelt nehmen deutlich zu:
- 75 % der neu auftretenden Infektionskrankheiten beim Menschen sind zoonotisch
- 60 % aller menschlichen Infektionskrankheiten sind zoonotisch
Die Aviäre Influenza ist eine aktuelle Bedrohung, die leider allzu deutlich zeigt, wie notwendig der One-Health-Ansatz ist: Sie ist längst nicht mehr nur eine Gefahr für Wildvögel und die Geflügelzucht, sondern breitet sich auf zahlreiche Säugetiere aus und gilt als Kandidat für eine mögliche Pandemie beim Menschen. Jede Information über ihre Verbreitung und ihre Wirte, die Analyse der Viren, die Wirksamkeit bestehender Impfungen, all das sind Bausteine, die uns dabei helfen können, die Verbreitung und das zukünftige Risiko zu senken – vorausgesetzt, dass wir all diese Bausteine gemeinsam betrachten.
Die lange Liste von Risikofaktoren
Der Klimawandel mit all seinen Folgen und der direkte menschliche Einfluss auf die Umwelt, sind die Wurzeln für eine lange Liste von Faktoren, die zur Gefahr für Mensch und Tier werden können: Abholzung, Landnutzungsänderungen, Armut, Ungleichheit, Konflikte, unzureichende Wasser- und Sanitärsysteme, alternde Bevölkerungen, Wildtierhandel, Verlust der Biodiversität und mangelnde Biosicherheit. Gesundheit ist eine politische und soziale Frage, gerade die Entwicklung von Infektionskrankheiten ist von so vielen Faktoren abhängig, dass der Blick nur auf den Erreger oder nur auf einzelne Patient:innen nicht ausreichend sein kann.
Zusammenhänge zu sehen war schon früher eine gute Idee
Der One-Health-Ansatz ist keine neue Erfindung, eher ist es eine Wiederentdeckung nach dem Zeitalter der Spezialisierung. Dem griechischen Arzt Hippokrates (ca. 460 v. Chr. – ca. 370 v. Chr.) war bewusst, dass die öffentliche Gesundheit von einer sauberen Umwelt abhängt.
Im 19. Jahrhundert erkannte der deutsche Arzt Rudolf Virchow die Verbindung zwischen Tier- und Humanmedizin und prägte den Begriff "Zoonose" für Krankheiten, die zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können. In den 1960er Jahren prägte der Tierarzt Calvin Schwabe den Begriff "One Medicine", der die Ähnlichkeiten zwischen der Tier- und Humanmedizin betonte und die Zusammenarbeit zwischen diesen Disziplinen förderte.
Während der One-Medicine-Ansatz sich hauptsächlich auf die Verbindung zwischen Human- und Veterinärmedizin konzentrierte, integriert der One-Health-Ansatz zusätzlich die Umweltgesundheit und fördert eine umfassendere, interdisziplinäre Zusammenarbeit. Heute wird der One-Health-Ansatz von internationalen Organisationen wie etwa der WHO unterstützt und ist ein wichtiger Bestandteil der globalen Gesundheitsstrategien, insbesondere im Kampf gegen Zoonosen und Antibiotikaresistenzen.
Die COVID-19-Pandemie war Anlass den One-Health-Ansatz schnellst möglich für Entscheidungsträger:innen instrumentalisierbar zu machen. Dazu wurde 2021 von der WHO eine strategische Beratergruppe ins Leben gerufen: One Health High-Level Expert Panel. Die Expert:innen-Gruppe sowie die Weltorganisationen (WHO, WOAH, FAO und UNEP) entwickeln gemeinsam Empfehlungen, Strategien und Werkzeuge für die Umsetzung von One Health in der Praxis und für die Politik.
Die AGES als One-Health-Pionier
Bei ihrer Gründung im Jahr 2002 hat die AGES einen echten One-Health-Startvorteil mitbekommen: Zahlreiche unterschiedliche Bereiche wurden unter einem Dach vereint, von der Lebensmittelsicherheit, über die Tiergesundheit bis zur öffentlichen Gesundheit beim Menschen. Das ist keinesfalls selbstverständlich, in den meisten Ländern und auch auf europäischer Ebene, sind diese Bereiche getrennt. So kümmerte sich beispielsweise die EFSA in Europa um Ernährungssicherheit, und ECDC um Infektionskrankheiten beim Menschen. Heute gibt es zwischen fünf europäischen Agenturen (ECDC, ECHA, EEA, EFSA und EMA) einen behördenübergreifenden Aktionsplan der One Health Task Force.
Die AGES hatte von Beginn an den richtigen Ansatz und One Health sogar im gesetzlichen Auftrag stehen. Doch alles unter einem Dach zu haben ist noch keine Garantie für One Health. Selbst der regelmäßige Austausch untereinander ist allein nicht ausreichend. Ein sinnvoller One-Health-Ansatz entsteht durch konkrete Fragen, die nur gemeinsam gelöst werden können.
Betrachten wir beispielsweise Dengue in Italien oder West-Nil-Fieber in Österreich – die einst exotischen Krankheiten rücken uns in Mitteleuropa näher. Der Klimawandel transportiert neue Stechmücken und Zecken in unsere Breitengrade und diese Vektoren wiederum haben neue Erreger im Gepäck. Würden wir ausschließlich die Erkrankungen beim Menschen beobachten, bliebe das Zusammenspiel von Vektoren, Erregern, Erkrankungen bei Tieren verborgen und sinnvolle Prävention wäre kaum möglich. Daher sammelt die AGES Stechmücken und Zecken, sucht sie dort, wo Krankheiten ausbrechen und testet sie auf Erreger. Die Erbinformation der Viren wird untersucht, damit neue Eigenschaften entdeckt werden und das zukünftige Risiko abgeschätzt werden kann. Bei West-Nil-Fieber werden die Fälle von Mensch und Tier auch gemeinsam dargestellt.
Dieses Gesamtpaket wird in europäischer Zusammenarbeit weiter verbessert, so läuft beispielsweise ab 2025 ein weiteres großes EU-finanziertes Projekt, bei dem unter anderem die Überwachung der Vektoren ausgebaut wird und eine gemeinsame Datenbank über die Fachbereiche hinweg aufgebaut werden soll.
Konkret sein auf jeder Ebene
Ein Begriff wie One Health, der Vieles umfasst, läuft leicht Gefahr in Beliebigkeit zu versinken. Damit in einer hochspezialisierten Welt der Austausch zwischen verschiedenen Fachgebieten tatsächlich funktioniert und Zusammenhänge gesehen werden, braucht es einen Rahmen mit konkreten Vorgaben. Bei One Health funktioniert dies über die vier K:
- Koordination, Kooperation, Kapazitätsaufbau und Kollaboration über Disziplinen und Sektoren hinweg
Bei uns in der AGES heißt das beispielsweise, dass wir gemeinsame Fragestellungen entwickeln, den regelmäßigen Austausch zwischen Fachbereichen fix in den Routineablauf integrieren und Personal und Ressourcen gezielt dafür bereitstellen, die Zusammenarbeit zu fördern und jene Themen zu finden, bei denen Expert:innen aus den verschiedensten Bereichen ihre Ideen und Arbeiten verbinden sollten.
Gesundheit von Mensch, Tier, Pflanze und Umwelt: https://www.ages.at/ages/one-health/one-health
Meldungen
Am 1. Dezember ist Welt-AIDS-Tag. Dieser wurde von der WHO 1988 gegründet. Dieser Tag steht für Awareness und Solidarität mit HIV-positiven und an AIDS erkrankten Menschen und wird von Joint United Nations Programme on HIV/AIDS (UNAIDS) jedes Jahr unter ein bestimmtes Motto gestellt. Das diesjährige Motto lautet: “Take the rights path: My health, my right!”.
Laut WHO leben im Jahr 2023 geschätzt 39,9 Millionen Menschen weltweit mit HIV.
Die sieben AIDS Hilfe Standorte in Österreich bietet anonyme und kostenlose HIV-Labor Tests an, Termine können online unter hier vereinbart werden.
Antibiotika werden wirkungslos, wenn Erreger Resistenzen gegen sie entwickeln. Antibiotikaresistenzen (engl. Abk. AMR - antimicrobial resistance) sind eine massive Bedrohung für die Gesundheit, weil dadurch unser Arsenal an Mitteln gegen Infektionskrankheiten reduziert wird. Im Zuge der World AMR Awareness Week, die jährlich von der WHO ausgerufen wird und von 18. – 24. November 2024 stattfand, veranstaltete die AGES in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und anderen Organisationen ein Symposium zum 17. Europäischen Antibiotikatag. Die World AMR Awareness Week soll dazu beitragen das Bewusstsein der Öffentlichkeit über Antibiotikaresistenzen zu schärfen. Eine falsche Anwendung von Antibiotika kann zur Entwicklung von antimikrobiellen Resistenzen beitragen. Antibiotika helfen nicht gegen Viren, müssen genau nach Verschreibung eingenommen werden und Restbestände müssen korrekt entsorgt werden, beispielsweise bringt man sie zurück in die Apotheke.
Fachbegriff Epidemiologie
Gezieltes kurzzeitiges oder längeres Beobachten/Verfolgen eines infektionsepidemiologisch bedeutsamen Prozesses. Monitoring kann beispielsweise dazu dienen, die Auswirkungen einer bestimmten Maßnahme zu verfolgen: Wie entwickelt sich die Impfquote nach Maßnahme X oder wie verhält sich die Infektionsrate nach Maßnahme Y?
In der Epidemiologie ist Monitoring ein Teil der im letzten Radar erklärten Surveillance. Monitoring ist ein rein passives Beobachten, die Interpretation und das Entwickeln von Maßnahmen fallen unter Surveillance.
Über das Radar
Das AGES-Radar für Infektionskrankheiten erscheint monatlich. Ziel ist es, der interessierten Öffentlichkeit einen raschen Überblick zu aktuellen Infektionskrankheiten in Österreich und der Welt zu geben. Die Krankheiten werden kurz beschrieben, die aktuelle Situation wird geschildert und, wo es sinnvoll und möglich ist, wird das Risiko eingeschätzt. Links führen zu tiefergehenden Informationen. Im "Thema des Monats" wird jeweils ein Aspekt zu Infektionskrankheiten genauer betrachtet.
Wie wird das AGES-Radar für Infektionskrankheiten erstellt?
Wer: Das Radar ist eine Kooperation der AGES-Bereiche „Öffentliche Gesundheit“ und Risikokommunikation.
Was: Ausbrüche und Situationsbewertungen von Infektionskrankheiten:
- National: Basierend auf Daten aus dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS), der Ausbruchsabklärung und regelmäßigen Berichten der AGES und der Referenzlabore
- International: Basierend auf strukturierter Recherche
- Thema der Woche (Jahresplanung)
- Meldungen zu wissenschaftlichen Publikationen und Events
Weitere Quellen:
Akute infektiöse respiratorische Erkrankungen treten in der kalten Jahreszeit vermehrt auf, darunter COVID-19, Influenza und RSV. Diese Erkrankungen werden über verschiedene Systeme beobachtet, wie dem Diagnostischen Influenza Netzwerk Österreich (DINÖ), dem ILI-(Influenza-like-Illness)-Sentinel-System und dem Österreichischen RSV-Netzwerk (ÖRSN). Die Situation in den Krankenhäusern wird über das SARI-(Schwere Akute Respiratorische Erkrankungen)-Dashboard erfasst.
Österreichische Labore schicken SARS-CoV-2-Proben zur Sequenzierung an die AGES. Die Ergebnisse der Sequenzierung werden regelmäßig auf der AGES-Website veröffentlicht.
Für die internationalen Berichte werden Gesundheitsorganisationen (WHO, ECDC, CDC, …) Fachmedien, internationale Presse, Newsletter und Social Media routenmäßig beobachtet.
Für Infektionserkrankungen in Österreich erfolgt die Einschätzung der Situation durch die Expert:innen der AGES, ebenso für internationale Ausbrüche, für die keine Einschätzung von WHO oder ECDC vorliegen.
Disclaimer: Die Themen werden nach redaktionellen Kriterien ausgewählt, es besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Anregungen und Fragen an: wima@ages.at
Da die Antwort auf Anfragen ebenfalls zwischen allen Beteiligten (Wissensmanagement, INFE, Risikokommunikation) abgestimmt wird, bitten wir um etwas Geduld. Eine Antwort erfolgt innerhalb einer Woche.
Das nächste AGES-Radar erscheint am 19.12.2024.
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Aktualisiert: 28.11.2024